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Altjahresabend 2021- Mt 13,24-30

„Es gibt kein Unkraut. Das ist nur die falsche Pflanze am falschen Ort.“ Es gibt so Sätze, die brennen sich ein und tauchen dann immer mal wieder, wie auf Kommando in meinem Kopf auf. „Es gibt kein Un-Kraut, das ist nur die falsche Pflanze am falschen Ort!“ ist so ein Satz bei mir. Gesagt wurde er von meiner Biologielehrerin in der 5. Klasse. Frau Illgner. Fun-Fact dabei: sie war auch schon die Biologielehrerin meiner Mutter gewesen und hatte mich vor der ersten Stunde Biologie in der neuen Schule auch gleich darauf angesprochen. Für mich war dieser Satz eine persönliche Anfechtung, da ich von klein auf im Garten meiner Oma aufgewachsen bin und ziemlich genau gelernt habe zu unterscheiden, was wir rausrupfen und was nicht. Aber seit diesem Satz von Frau Illgner war alles anders und ich erinnere mich noch sehr genau, dass ich die Tage nach dieser Stunde bei uns im Garten saß und einige Pflänzchen, die ich vorher noch wie selbstverständlich rausgerissen hatte, auf einmal anders anschaute und mich fragte, wofür sind die wohl gut. An welchem Ort wären sie wohl „richtig“?

Predigttext: Matthäus 13, 24-30

Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.

Zuvor steht im Evangelium das vielleicht deutlich bekanntere Gleichnis vom Sämann. Da wo der gute Same keine Chance hatte unter den „Dornen“ aufzugehen, die den Keimling erstickten. In diesem Gleichnis hier ist es ganz anders: hier wächst der Weizen neben dem Unkraut. Bzw. der falschen Pflanze am… ihr wisst schon.

Ein ähnliches Bild, das Jesus hier malt aber mit einer ganz anderen Stoßrichtung. Beim Gleichnis vom Sämann war es der Same das Wort Gottes, dass auf unterschiedliche Böden fällt und aufgeht und Frucht trägt oder eben nicht. Aber bei diesem Gleichnis sind die Menschen der Weizen und die falsche Pflanze am falschen Ort – das Un-Kraut. Und es geht, offenbar um die Frage was Gott wachsen lässt und was er vielleicht nicht wachsen lassen sollte. Wenn man in der Logik des Gleichnisses Gott mit dem säenden Menschen identifiziert. In diesem Sinne ist dieses Gleichnis etwas hoffungsvoller, was die Durchsetzungsfähigkeit des guten Samens angeht. Der Weizen in dem Bild wächst nämlich trotz des Unkrauts. 

Und am Ende eines Jahres ist auch im persönlichen Rückblick sicher eine Menge Wildwuchs zu beobachten. 

Vieles Positive ist gewachsen. Ist aufgeblüht und hat Frucht gebracht.

Vielleicht sogar einiges unerwartetes, wie so eine Kornblume oder der rote schöne Mohn am Rand des Feldes.

Aber bestimmt ist da auch einiges was schwer zu ertragen ist. Auch das ist im Feld dieses Jahres in die Höhe und in die Breite gewachsen.  

Und ich bin mir sicher jede und jeder von euch hat gerade etwas oder jemanden konkretes vor Augen. 

Und mit ziemlicher Sicherheit möchte sich jede und jeder selbst lieber als Weizen, denn als Unkraut verstanden wissen. Höchstens noch als falsche Pflanze am falschen Ort… 

Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin? 

Wie oft war ich in diesem Jahr mehr Unkraut als Weizen? 

Wie oft hab ich mir mehr Grundwasser gegönnt als ich wirklich brauchte? Und es damit anderen entzogen.

Wie oft habe ich mehr Schatten geworfen als meinem oder meiner Nächsten gut tut?

 

Wie jedes Bild ist natürlich auch dieses Gleichnis Jesu nur in der Lage einen vielleicht zwei Aspekte der Wirklichkeit abzubilden und nie die gesamte. Das liegt in der Natur des Gleichnisses. Es hat ein Aussageziel und auf dieses hin gelesen ist es gut. Weil es leicht verständlich macht, worum es Jesus geht.

Wenn ich allerdings hingehe und auch alle Randaspekte und die gesamte Wirklichkeit in ihm abgebildet suche, dann komme ich auf teilweise sehr seltsame Schlüsse.

Ich glaube in Bezug auf das Wachstum des Unkrautes und des Weizens ist die Aussage relativ deutlich: Hier wird nichts vorher rausgerissen und auch die Knechte des Herrn im Gleichnis dürfen nicht vorher eingreifen. Obwohl ich es manchmal vielleicht gerne hätte, dass Gott mehr durchgreift. Besonders wenn ich den Eindruck gewinne, dass Menschen mit bösen Absichten und falschen Spielen durchkommen. Das ist dann immer eine echte Anfechtung für mich. „Wie kann dein Gott das zulassen?“ kommt dann auch oft von außen an mich heran.

Und gerade mit Blick auf dieses Gleichnis möchte ich dann doch nochmal den Versuch wagen, in die Tiefe dieses Bildes hineinzugehen. Denn sicher hat es doch einen guten Sinn, wenn da nichts voreilig herausgerissen wird. Erst am Ende wird abgerechnet. Wenn die Ernte eingebracht wird. Am jüngsten Tage. Dann wird genau geschaut, was wirklich gewachsen ist. Damit besteht für die vermeintlich falschen Pflanzen am falschen Ort – also das Un-Kraut noch Hoffnung. Hoffnung für jede und jeden Einzelnen. Denn ich glaube so ehrlich muss ich zu mir selbst auch sein: ich war auch in diesem Jahr nicht immer nur Weizen. 

Ganz oft hatte ich unkrautige Züge an mir. 

Hab unkrautige Dinge gesagt.

Hab - ganz unkrautig – Dinge nicht gemacht, die ich vielleicht besser gemacht hätte. 

Manchmal hab ichs sogar gemerkt und fühlte mich dann wie die falsche Pflanze am falschen Ort. Und habe versucht einiges wieder gerade zu rücken. Um Verzeihung gebeten. Und gebetet -  so ganz Un-unkrautig.

Und gerade mit Blick auf diese vielen unkrautigen Seiten und Handlungen an mir, bin ich froh und dankbar, dass vom Herrn nicht gleich verworfen wird. Das immer noch eine Chance besteht. Für mich und für jede und jeden unkrautigen hier drin und da draußen. Das ist in meinen Augen, die große Barmherzigkeit unseres Glaubens: gib niemanden verloren. Kämpfe um jeden Halm. Prüfe dich selbst. Und gib deine wilden Unkrauttriebe ganz in Gottes Hand. Er wird dir helfen zu wachsen und Frucht zu tragen.

Viele Jahre später stehe ich im Pfarrgarten hinter dem Haus und schaue auf die Aussaat der Wildblumen-Bienenfreund-Mischung die dort gewachsen ist. Sie blüht in den buntesten Farben über viele Wochen hinweg. Bienen und Schmetterlinge schwirren darin herum und einige der Blüten duften sogar. Und ich erkenne viele der Unkräuter meiner Kindheit wieder. Soviele von ihnen, die wir rausgerissen haben ohne dass sie jemals in unserem Garten blühen konnten. Und ich bin dankbar für all die Frau Illgners dieser Welt, die in jedem Unkraut auch die falsche Pflanze am falschen Ort sehen können.

Amen

Gehalten am 31.12.2021 durch Pfarrer Martin Olejnicki

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