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Von Zungenrede und Prophetischer Rede

Predigttext 1. Korinther 14,1-12

Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet! 2Denn wer in Zungen redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; denn niemand versteht ihn: im Geist redet er Geheimnisse. 3Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. 4Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde. 5Ich möchte, dass ihr alle in Zungen reden könnt; aber noch viel mehr, dass ihr prophetisch redet. Denn wer prophetisch redet, ist größer als der, der in Zungen redet; es sei denn, er legt es auch aus, auf dass die Gemeinde erbaut werde.

6Nun aber, Brüder und Schwestern, wenn ich zu euch käme und redete in Zungen, was würde ich euch nützen, wenn ich nicht mit euch redete in Worten der Offenbarung oder der Erkenntnis oder der Prophetie oder der Lehre? 7So verhält es sich auch mit leblosen Instrumenten, es sei eine Flöte oder eine Harfe: Wenn sie nicht unterschiedliche Töne von sich geben, wie kann man erkennen, was auf der Flöte oder auf der Harfe gespielt wird? 8Und wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zur Schlacht rüsten? 9So auch ihr: Wenn ihr in Zungen redet und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen, was gemeint ist? Ihr werdet in den Wind reden. 10Es gibt vielerlei Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. 11Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich ein Fremder sein für den, der redet, und der redet, wird für mich ein Fremder sein.

12So auch ihr: Da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr sie im Überfluss habt und so die Gemeinde erbaut.

 

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Stell dir mal vor…

Jemand fängt plötzlich an  zu reden, und du kannst es nicht verstehen. Also, du hörst die Worte und sie kommen dir auch bekannt vor, aber sie ergeben für dich keinen Sinn. Die Worte, sie kommen in großer Menge und scheinbar ohne Bedeutung und Zusammenhang. Und du konzentrierst dich mit aller Kraft und du willst es unbedingt verstehen, aber die Anstrengung ist umsonst. Du verstehst es nicht, was da gesagt wird, bis du dann völlig erschöpft aufgibst und dir vornimmst: hier gehe ich nicht mehr hin. Denn der da redet, der redet ja nur für sich und irgendwie interessiert ihn gar nicht ob ich es verstehe. Und all die anderen hier, scheinen ihn zu verstehen oder sie finden es zumindest ok, dass er da für sich spricht ohne dass es alle verstehen können. Oder vielleicht verstehen sie ja, weil sie schon gelernt haben das zu verstehen…

 

Zungenrede

So oder so ähnlich klingt es vielleicht im Inneren eines Menschen dem die Zungenrede das erste mal begegnet. Es muss ein nahezu ekstatischer Zustand sein in dem sich ein Mensch befindet, wenn er beginnt so zu sprechen. Oder besser gesagt so zu beten. Es ist eine Gabe des Geistes. Und es hat etwas ursprüngliches. Es wirkt wie aus einer anderen Zeit auf mich. Damals als der Glaube noch „frisch“ war. Noch nicht so verkopft. Noch voller Emotionen und die Menschen vielleicht noch offener für das Wirken des Geistes in ihrer Mitte. Früher war alles besser… Hahaha

Wohl kaum, denn wie wir gerade gehört haben, hat der Paulus auch so seine Probleme damit. Denn es passierte vermutlich genau das, was ich versucht habe zu beschreiben: Unverständnis der Menschen die neu dazu kamen und vielleicht auch nicht ausgesprochenes Unverständnis derer, die schon lange dabei sind. 

Und auch wenn der Paulus manchmal ganz schön hart ist in seinen Worten und seinem Urteil, an dieser Stelle finde ich ihn sehr wertschätzend im Umgang mit den Zungenrednerinnen und Rednern. Sein erster Satz schon verweist auf das vorhergehende Kapitel in dem es um die Liebe geht. Ihr alle kennt das hohe Lied der Liebe, das davor steht und Paulus wendet dieses Prinzip auch gleich an und stellt seine Bedenken und vielleicht auch seinen Frust über die Zungenrede hinten an. Denn klar ist glaube ich: für den oder die einzelne die in diesen Ekstatischen Zustand kommt und in Zungen zu Gott betet, ist das ein besonderes und intensives Erlebnis. Allen denen das nicht gelingt, für die kann das auch sehr frustierend sein und die Gemeinde vor eine Zerreißprobe stellen. Man stelle sich nur einmal vor unsere Gottesdienste hier würden 4h dauern wovon 3,5h nur von ekstatischem unverständlichem Gerede geprägt wäre… Darum wird es Paulus vielleicht auch zu viel und er erklärt, warum er mehr wert auf prophetische Rede legen würde. Also Rede, die für den außenstehenden verständlich und vielleicht sogar erhellend ist. Das was man heute von einer guten Predigt erwarten würde. 

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Zungenrede heute?

Und da sind wir auch schon in medias res : stell dir mal vor… du hast mit Kirche bisher nichts am Hut gehabt und auf einmal an diesem Sonntag packt es dich und du gehst da einfach mal hin. Und dort. Fängt jemand plötzlich an  zu reden, und du kannst es nicht verstehen. Also, du hörst die Worte und sie kommen dir auch bekannt vor, aber sie ergeben für dich keinen Sinn. Sie kommen in großer Menge und scheinbar ohne Bedeutung und Zusammenhang. Und du konzentrierst dich mit aller Kraft und du willst es unbedingt verstehen, aber die Anstrengung ist umsonst. Du verstehst es nicht, was da gesagt wird, bis du dann völlig erschöpft aufgibst und dir vornimmst: hier gehe ich nicht mehr hin.

Leider ist das diesmal nicht die vorgestellte Situation in Korinth vor 2000 Jahren sondern dies könnte Köthen im Jahr 2021 sein. Hier heißt das Problem nicht Zungenrede sondern „Binnensprache“ und Wohlfühlblase. Für uns als „Insider“ ist das manchmal schwer zu erkennen und teilweise vielleicht sogar unmöglich. Aber die Binnenlogik unserer Gottesdienstlichen Vollzüge – sie ist – leider schon lange – nicht mehr selbsterklärend. Schon gar nicht in einer Umgebung wo die Entkirchlichung so fortgeschritten ist. Wo es einfach diesen schon so lange und oft festgestellten Traditionsabbruch über Generationen hinweg gibt. Um so wichtiger erscheint es mir, immer mal wieder zu hinterfragen und das Gespräch nach „draußen“ zu suchen: Versteht ihr eigentlich was da gerade passiert. Dieser Kyrie-sing-sang, was passiert da eigentlich? Warum machen die das da vorn. Im wirklich besten Fall, hat es ja noch halbwegs musikalisch-gesangliche Qualität, aber darüber hinaus? Wenn die ästethische Komponente nicht mehr zieht und der Inhalt nicht verstanden wird, wofür oder besser für wen machen wir das dann? Man könnte jetzt kühn antworten: na für Gott natürlich! 

 

Die Kirche verreckt an ihrer Sprache

Ich möchte jetzt nicht für Gott sprechen- das wäre schon gleich bei der Einführung kein guter Start – und außerdem kann Gott gut für sich selbst sprechen– aber ich frage mich ehrlich ob Gott wirklich auf diesen agendarischen Gottesdienst angewiesen ist. Besonders fraglich finde ich das, wenn ich doch eigentlich glaube, dass Gott eine Beziehung möchte. Eine Beziehung mit mir. 

Für eine Beziehung können natürlich Rituale und gemeinsame Traditionen etwas ganz wichtiges und auch etwas Beziehungsstärkendes sein. Allerdings gilt das nur für Rituale und Traditionen, die auch beide Seiten verstehen und entsprechend vollziehen können. Und genau da ist der Haken für viele Menschen hier in Köthen und Umgebung. Denn was wir hier so selbstverständlich gemeinsam sprechen, singen und beten, ist für sie wie die Zungenrede der korinthischen Gemeinde für die Korinther, die neu dazu kamen.

Unglaublich wertvoll und geistlich erbauend für die „Eingeweihten“ aber eben auch gleichzeitig ausgrenzend und ehrlich gesagt auch seltsam für die noch Außenstehenden. Ein echtes Dilemma also. Für uns heute, wie für Paulus und die Korinther damals. Und da das Problem so ähnlich gelagert ist, helfen vielleicht auch uns hier und heute die Kriterien, die Paulus bei den Korinthern anlegt.

Die Liebe ist das Kriterium Nr. 1 für Paulus

Was empfiehlt Paulus für Kriterien

Da steht zum Einen – und wie könnte es auch anders sein: die Liebe ganz vorn. „Strebt nach der Liebe!“ damit beginnt alles. Auf die Frage, warum sollten wir das so oder anders machen? Sollte die erste Antwort sein: aus Liebe. Zu Gott und zu den Menschen. Mit dieser Grundhaltung relativiert sich in meinen Augen vieles. Denn mit einem liebevollen Blick lasse ich niemanden mit Unverständnis allein sondern suche nach Möglichkeiten ihm zu helfen. Wenn Liebe als Grundhaltung auch oder gerade in der Gestaltung der Gottesdienste spürbar wird – auch für Außenstehende, werden sie zu Feiern an denen Menschen gerne teilnehmen.

 

Das zweite Kriterium für Paulus ist die Erbauung der Gemeinde und damit meint er eben nicht die persönliche Erbauung sondern den Gemeindeaufbau. Und ich glaube hier wird es schwieriger… Natürlich gibt es diese wunderbaren Traditionen. Die alten Gesänge. Die Dinge in denen wir uns zu Hause und vertraut fühlen. Diese sind immens wichtig für die sogenannte Kerngemeinde. Die die immer da sind. Sie sind vielleicht vor allem deshalb da, weil sie in der Liturgie und der Tradition Heimat finden. Und sie haben auch alles Recht dazu, dies auch zu fordern und zu bekommen. Und gleichzeitig bleibt natürlich das Generationenproblem. Die Musik sie verändert sich. Andere Lieder, Rhytmen und Melodien werden gewünscht. Hier sind wir alle gefordert einen guten gemeinsamen Weg zu finden. Ich glaube da ist etwas möglich. Ganz anders beim dritten Kriterium das Paulus formuliert: 

Hier geht es um die Verständlichkeit. So dass Erbauung, Ermahnung und Tröstung die Menschen auch wirklich erreichen. Und hier müssen wir als Kirche an uns arbeiten, glaube ich. Hier kann uns der Reformator trotz des riesigen zeitlichen Abstandes wieder zum Anhaltspunkt werden: es braucht eine klare, direkte und deutliche Sprache. Sie muss natürlich der Situation angemessen bleiben. Und dabei hilft es sich immer mal wieder Menschen von außen einzuladen und sich dann ihr ehrliches Feedback zu holen. War das jetzt Binnenkirchliches-Salbungsvolles-Geschwafel oder weißt du worauf wir mit Gott hinaus wollen? Diese Kritik kann hart bis vernichtend ausfallen, aber wir sollten uns ihr stellen.

 

Geistgaben und Dienst an der Gesellschaft

Für Paulus steht, trotz aller Kritik an der Zungenrede fest: Zungenrede und Prophetische Rede gehören zusammen. Und so glaube ich, dass wir auch Tradition und Erneuerung nur zusammen denken können. So möchte ich auch den Bogen zurückschlagen in unsere Zeit und mich auch so verstanden wissen: 

 

Stell dir mal vor…

du hast mit Kirche bisher nichts am Hut gehabt und auf einmal an diesem Sonntag packt es dich und du gehst da einfach mal hin. Und dort. Spricht dich jemand schon an der Tür an und er gibt dir Hilfestellungen für das was gleich kommt damit du mitfeiern kannst. Und dann hörst du die Worte und du spürst sie sind den Menschen hier wichtig. Und du konzentrierst dich mit aller Kraft und du willst unbedingt verstehen, manches bleibt dir noch verborgen aber vieles berührt dich in deinem Innern. Du verstehst nicht alles was da passiert und du kennst die Melodien der Gesänge noch nicht aber du nimmst dir vor: hierher komme ich wieder, weil ich mich willkommen fühle und weil ich in all dem was da passiert ein großes Geheimnis spüren kann, dass die Menschen hier erfüllt und tröstet…

 

Amen

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Gehalten von Pfarrer Martin Olejnicki zu seiner Einführung am 13.6.2021

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