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Festpredigt zum ökumenischen Gottesdienst zu 1700Jahren Nizäum

Die Predigt hielt Prof. Dr. Jörg Ulrich - Theologische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen. 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Seit 1700 Jahren spricht die Christenheit diese Worte. Seit 1700 Jahren sprechen Christen mit diesen Worten von der Hoffnung, die in ihnen ist, und geben sie weiter von Generation zu Generation. Wir, die wir im Jahre 2025 leben, kennen niemanden, der damals in Nizäa dabei war oder in einem der Jahrhunderte danach diese Worte gebetet hat, dazu ist unsere Verweildauer auf dieser Erde zu kurz – und doch verbindet uns das Bekenntnis von Nizäa über eine unvorstellbar große Zeitspanne hinweg mit all den Menschen, die im selben Glauben gelebt haben wie wir. Wenn ich als Kirchengeschichtsprofessor irgendeinen Text aus dem Mittelalter oder aus der Reformation in die Hand nehme und sehe, da haben Menschen sich vor 1000 oder vor 500 Jahren mit dem nizänischen Bekenntnis auseinandergesetzt, mit „meinem“ nizänischen Bekenntnis, wie ich es heute in meinem Gesangbuch finde und im Gottesdienst bete oder darüber predige – das berührt mich schon sehr.  

Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott von wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater. In aller Welt geben Christen mit diesen Worten Rechenschaft über die Hoffnung, die in ihnen ist. In aller Welt spricht die Christenheit diese Worte, in all den verschiedenen Konfessionen, in allen Sprachen, in allen Ländern, in Syrien, im Libanon, in Indien und in China, im Gazastreifen und in Ghana. Und in Sachsen-Anhalt. Wir kennen die allermeisten von denen nicht, dazu sind unsere Kreise, dazu ist unsere Reichweite viel zu klein – und doch verbindet uns das Bekenntnis von Nizäa mit Menschen in aller Welt, die im selben Glauben leben wie wir. Es beeindruckt mich, wenn auf Reisen bin und irgendwo auf Gottes guter Erde eine Gemeinde gleich welcher Konfession besuche und eben diese Worte höre und, wenn ich die Sprache kann, mitspreche, die Worte des Nizänums, des „Großen Glaubensbekenntnisses“, wie es im Gotteslob genannt wird. Dieses Bekenntnis verbindet die gesamte Christenheit – Orthodoxe, Katholiken, Evangelische. Wenn wir es sprechen, leihen wir uns Worte, die die frühen Christen gefunden haben, um festzuhalten, was sie getragen hat und indem wir uns ihre Worte leihen, sprechen wir selbst aus, was uns trägt: der Glaube an Jesus Christus, den Sohn Gottes, der von den Toten auferstanden ist.  Gott von Gott. Licht vom Licht. Wahrer Gott vom wahren Gott. 

Ein Mann mit einem schwarzen Talar steht auf der Kanzel und spricht in ein Mikrofon.
Prof. Jörg Ulrich predigte in St. Jakob zum ökumenischen Gottesdienst

All das konnten die ungefähr 300 Bischöfe, die im Juni des Jahres 325 aus der ganzen damaligen christlichen Welt in dem kleinen Ort Nizäa, dem heutigen Iznik in der Türkei, zusammenkamen, natürlich nicht ahnen. Ihnen ging es ganz aktuell um eine Frage, die die noch junge Kirche vor eine Zerreißprobe stellte. Ist der Mensch Jesus Christus, der vor 300 Jahren auf dieser Erde geboren wurde, vom Reich Gottes gesprochen, sich den Schwachen zugewandt und Kranke geheilt hat, der gelitten hat, starb und auferstand, der der Welt ein menschliches Antlitz gab: Ist dieser Jesus Christus zugleich ganz und gar wahrer Gott, also eines Wesens mit Gott dem Vater? Das war die Frage. Und auf den ersten Blick wird man nun vielleicht sagen, wieso ist das wichtig, das ist doch eher eine Frage für theologische Studierstuben… und in der Tat, ich veranstalte mit meinen Studenten in Halle in diesem Semester ein Seminar über Nizäa und wir lesen und besprechen da die Texte von damals. Aber indem wir diese alten und scheinbar so weit von uns entfernten Texte besprechen, merken wir, dass es auf einmal hoch hergeht. Dass es um Fragen geht, an denen sich die Gemüter erhitzen. So wie vor 1700 Jahren. Damals stritt man sich über die Meinungen des Arius, eines Priesters aus Alexandria. Für ihn war Jesus Christus zwar ein herausragendes Geschöpf, höher als alle anderen Geschöpfe, aber eben nicht wahrhaft göttlich – nicht „eines Wesens mit dem Vater“. Das übrigens gar nicht so dumme Argument des Arius war: Wenn Christus auch wahrer Gott ist so wie der Vater, dann haben wir ja zwei Götter, es kann aber nur einen Gott geben. Die Lehre des Arius spaltete die Kirche, sie spaltete die Bischöfe, die Pfarrerschaft, die Gemeinden. Sie führte zu Konflikten und sogar zu Gewalt. Wir wissen, dass es auf dem Fischmarkt in Alexandrien zu schweren Ausschreitungen wegen dieser Frage kam. Soldaten mussten die Ordnung wiederherstellen. Wir wissen, dass Nikolaus von Myra, einer der am Konzil teilnehmenden Bischöfe, sich so über Arius aufregte, dass er ihm ins Gesicht schlug. Wegen dieser Ohrfeige wurde er von den anderen Teilnehmern des Konzils gerügt, es wurde ihm sogar die Bischofswürde aberkannt. Aber in der darauffolgenden Nacht erschien Christus einigen der Konzilsteilnehmer im Traum und bestätigte, dass Nikolaus ein Verteidiger des wahren Glaubens sei. Die Ohrfeige wurde vergeben und vergessen. Nikolaus wurde wieder in sein Amt eingesetzt. Es ging hoch her in Nizäa. 

Warum ging es so hoch her in Nizäa? Warum gingen wegen der Frage, ob Jesus Christus wahrer Gott aus wahrem Gott sei, die Fischhändler in Alexandrien aufeinander los, warum leistete sich Nikolaus von Myra deswegen die ganz und gar unbischöfliche Entgleisung einer Ohrfeige für Arius, warum diskutieren meine Studenten in Halle manchmal noch lange nach Seminarschluss über diese Frage – zum Glück, ohne dass es dabei Schlägereien gibt? Weil von der Frage, ob Jesus Christus wahrer Gott ist, es abhängt, worauf ich eigentlich vertrauen kann im Leben und im Sterben. Wenn Jesus Christus nur ein noch so herausragender Mensch wäre, der die Mühseligen und Beladenen zu sich rief, der einstand für die, die Leid und Unrecht erfuhren – mag sein, dass er mir dann ein Vorbild sein könnte, das mich anspornt, selbst gegen Ungerechtigkeit einzutreten. Wenn Jesus nur ein noch so herausragender Mensch gewesen wäre, weil er sich für den Frieden eingesetzt hat, mag sein, dass sein Vorbild mir helfen kann, selbst Frieden zu halten. Aber aus den Verstrickungen und Verwicklungen meines Lebens erlösen könnte er mich dann nicht. Aus dem Tod retten und mir die Auferstehung und das Leben der kommenden Welt schenken – das könnte er dann nicht. Aus dem Tod retten und das Leben der kommenden Welt schenken – das kann ein Mensch nicht, auch wenn er ein noch so besonderer Mensch ist. Aus dem Tod retten und das Leben der kommenden Welt schenken, das kann nur Gott. Deswegen haben die Väter des Konzils von Nizäa darauf bestanden, dass wir es in der Kirche gemeinsam bekennen: Jesus Christus, der als Mensch unter uns lebte, ist wahrer Gott. Und das haben sich die Väter von Nizäa ja auch nicht einfach aus den Fingern gesogen, sondern haben es aus verschiedenen Stellen der Bibel herausgefiltert: „In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“, liest man im Kolosserbrief. „Mein Herr und mein Gott“, sagt der ungläubige Thomas, als er den Auferstandenen erkennt. Das Johannesevangelium beginnt mir den Worten: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort“. Und der Titusbrief spricht von der „Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus“. Unser großer Gott und Retter Jesus Christus. Als Gott ist er unter uns gekommen und in seinem Heiligen Geist hat er uns und diese Welt nicht ohne Gott zurückgelassen.

Eine Gruppe von Menschen zieht in Messgewändern aus dem Altarraum einer Kirche aus. Die vorderste Person trägt ein Vortragekreuz aus Gold. Hinter ihr läuft ein Mann mit einem goldenen Evangeliar. Im Hintergrund sind weitere Amtsträger zu erkennen
Am ökumenischen Gottesdienst wirkten auch Pfarrer Kensbock, Pater Mihail (rum.-orthodox), Pfarrer Olejnicki, Diakon Kwak und Messdienerinnen und Messdiener der katholischen Gemeinde mit.

Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott von wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater. So haben es die Väter von Nizäa vor 1700 Jahren formuliert und die Auffassung des Arius abgelehnt. Wie aber ging man dann mit dem gar nicht so dummen Argument des Arius um, dass, wenn Christus wahrer Gott von wahrem Gott ist, wir zwei Götter haben, obwohl Gott doch einer ist? Was wurde aus der gar nicht so dummen Frage des Arius, wie man das eigentlich denken soll, dass der wahre Gott aus wahrem Gott eines Wesens mit Gott Vater ist? Diese Frage wurde damals in Nizäa noch nicht beantwortet. Mit diese Frage plagte sich die Kirche nach dem Konzil von Nizäa noch sage und schreibe 56 Jahre lang herum. Bis ins Jahr 381, als das Nizänische Bekenntnis eine Neuauflage erfuhr, einige Veränderungen am Text wurden vorgenommen, eine neue Interpretation gefunden, die auch die Einwände des Arius zu beantworten half. Wie das zuging, wie das funktionierte – damit, liebe Gemeinde, will ich Sie heute nicht auch noch belämmern. Und die komplizierten Einzelheiten dieser Entwicklung sind wohl tatsächlich eher was fürs theologische Seminar als für die Kanzel. Aber hinweisen möchte ich schon darauf, dass die Formulierungen des Nizänischen Bekenntnisses, die wir heute sprechen, die jener Neubearbeitung aus dem Jahre 381 sind, für die das Bekenntnis von 325 Grundlage war, aber nicht die Endgestalt. Warum ich Ihnen das erzähle? Weil ich Sie darauf vorbereiten will, dass wir im Jahre 2081, also in 56 Jahren, nochmal 1700 Jahre Nizänisches Bekenntnis feiern werden. Weil ich Sie darauf vorbereiten will, dass in 56 Jahren hier an Ort und Stelle ein – sicher wieder ökumenischer – Festgottesdienst stattfinden wird zur Feier des 1700. Jubiläums des Nizänums. Sie alle sind herzlich eingeladen. Natürlich: Ich selbst werde dann aus offensichtlichen Gründen nicht mehr als Prediger zur Verfügung stehen. Und ja: Die meisten von uns, da wollen wir uns nichts vormachen, werden im Jahre 2081 nicht mehr dabei sein, unsere Verweildauer auf dieser Erde ist halt relativ kurz. Aber das, liebe Gemeinde, ist eigentlich gar nicht weiter schlimm, denn die meisten von uns werden dann das sehen, was sie heute nur bekennen, was sie heute nur glauben. Die meisten von uns werden dann aus dem Tod gerettet und in das Leben der kommenden Welt hineingeboren sein durch den, der eben nicht nur ein ganz besonderer Mensch war, sondern der als wahrer Gott von wahrem Gott Grenzen überwindet und Schranken niederreißt, die uns Menschen unüberwindlich sind. 

Und die Jungen, die ganz Jungen unter uns, die so Gott will im Jahre 2081 tatsächlich noch dabei sein werden? Nun, die werden bis dahin ein hoffentlich gutes, glückliches, fröhliches Leben führen im Glauben an den, auf den Generationen vor ihnen vertraut haben im Leben und im Sterben, im Glauben an Jesus Christus, unseren Herrn und Bruder. Die werden bis dahin und die werden dann in 56 Jahren mit der ganzen Christenheit in aller Welt das Nizänische Bekenntnis beten in allen Konfessionen, Orthodoxe, Katholiken, Evangelische, in allen Sprachen, in allen Ländern, in Syrien, im Libanon, in Indien und in China, im Gazastreifen und in Ghana. Und in Sachsen-Anhalt. Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott von wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Gehalten von Prof. Jörg Ulrich am 15.6.2025 in der St. Jakobkirche zu Köthen

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